Bericht über den 22. Deutschen Familiengerichtstag in Brühl vom 28.06. - 01.07.2017

01. Juli 2017

In diesem Jahr besteht der Familiengerichtstag seit 40 Jahren. Er findet alle zwei Jahre in Brühl statt. In diesem Jahr waren insgesamt 560 Teilnehmer und Gäste anwesend, vorwiegend Richter und Rechtsanwälte, aber auch Notare, Jugendamtsmitarbeiter, Psychologen, Sachverständige, Universitätsprofessoren....

Leider waren aus dem gesamten Bundesgebiet nur drei Rechtspfleger anwesend, obwohl zwölf Rechtspfleger bundesweit als Mitglieder zum ermäßigten Tagungsbeitrag hätten teilnehmen können. Es ist schade, dass unser Verband auf derartigen Veranstaltungen so wenig Präsenz zeigt, wo es doch gerade hier darum ginge, auf Gesetzesvorschläge / -änderungen auch im Rechtspflegerbereich aktiv mit Einfluss zu nehmen.

Am 28.06.2017 um 18.00 Uhr wurde der 22. Familiengerichtstag durch Frau Dr. Isabell Görz, Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstages und Vorsitzende Richterin am OLG München mit einem Exkurs durch das Kindschafts- und Unterhaltsrecht der vergangenen 40 Jahre eröffnet. Kurz angerissen hat sie u.a. Probleme, die sich aus der aktuellen Rechtsprechung zum Wechselmodell ergeben, Probleme mit Migranten und der Umgang mit für uns fremden Kulturen sowie Probleme bei der Erziehung von Kindern in Bezug auf die vielfältigen Medien.

Danach schilderte Frau Christiane Wirts, Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Entwicklung und Veränderung der Institution „Familie“ in den letzten 40 Jahren bezogen auf das Kindschaftsrecht, das das Sorge- und Umgangsrecht, das Unterhaltsrecht, das Scheidungsrecht usw.

Dr. Andreas Christians, Ministerialdirigent im Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sprach in seinem Referat von möglicherweise im Gesetz zu ändernden Regelungen im Betreuungsrecht. Angedacht ist, dass in Notsituationen die Vertretung zwischen Ehepartnern auch ohne Betreuungsanordnung oder Vorsorgevollmacht möglich sein sollte hinsichtlich der Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Vertretung bei Ämtern und Behörden, Anhalten und Öffnen von Post sowie Geltendmachung von Pflege- und sonstigen Hilfeleistungen.

Dieter Freytag, Bürgermeister der Stadt Brühl sprach über die Wandlung der Familienstruktur in den vergangen 40 Jahren. Inzwischen sind alle Konstellationen möglich. Die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse sind nicht mehr entscheidend. Familie ist in der heutigen Zeit eine „Form des Zusammenlebens, um nicht alleine zu sein“.

Prof. Siegfried Willutzki, Direktor des Amtsgerichts a.D., Ehrenvorsitzender des DFGT stellte in seinem Vortrag dar, dass bis 1977 die familiären Rechtsstreite je nach Sachgebiet verteilt waren auf verschiedene Abteilungen der Amtsgericht und auf die Landgerichte. Zukünftige Familienrichter mussten in Trier einen zweiwöchigen Intensivkurs absolvieren, bevor sie in den entsprechenden Abteilungen an den Gerichten eingesetzt wurden. An einem Abend in einer Kneipe in Trier entstand bei reichlich Alkohol der Gedanke, alle Familiensachen in einer eigenen Gerichtsbarkeit zusammenzufassen. Am nächsten Tag wieder nüchtern fand man diese Idee recht gut und ging an die Umsetzung. Im Jahr 1977 wurde dann die Familiengerichtsbarkeit begründet, die Familiengerichte entstanden.
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Schwab, Ehrenvorsitzender der Wissenschaftlichen Vereinigung für Familienrecht gab einen Überblick über alle familiengerichtlichen Reformen von 1977 bis heute.

Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im DAV stellte in ihrem Referat aktuelle Probleme des Familienrecht dar. Das Familienrecht sollte grundlegend überarbeitet werden. Dafür wurde eine Kommission gegründet.
Aus Anlass des diesjährigen Jubiläums wurden die Vorträge am Eröffnungstag durch Gesangseinlagen aus den vergangenen vier Jahrzehnten umrahmt.

Am 29.06.2017 verteilten sich die Teilnehmer auf 12 Arbeitskreise, in denen folgende Themen diskutiert wurden:

  1. Verzicht im Unterhaltsrecht
  2. Elternunterhalt
  3. Überzahlter Unterhalt und Entreicherungseinwand
  4. Eine(r) betreut – eine(r) bezahlt
  5. Bewertung von Kapitalanlagen
  6. Betriebliche Altersvorsorge – Ausgleich, wirtschaftliches Ergebnis
  7. Umgangsverweigerung – folgenlos?
  8. Reformansätze im Sorge- und Umgangsrecht
  9. Gewalt in der Familie
  10. Einvernehmen – ein taugliches Leitbild im Kindschaftsrecht?
  11. Migration – eine Herausforderung im Familienrecht
  12. Anträge, Beteiligte, Beschwerdeberechtigung

Zu jedem Thema wurden Thesen ausgearbeitet und ausformuliert, die an das Bundesjustizministerium weitergeleitet werden. Diese Thesen bilden die Grundlage für Vorschläge zu Gesetzesänderungen.

Am Abend referierte Prof. Dr. Michael Coester, Universitätsprofessor aus München über das Thema „Konflikte von Erziehungsleitbildern“.
Unsere Leitbilder gegeben sich u.a. aus dem Grundgesetz, dem Kindschaftsrecht, dem Sorgerecht usw. Diese stehen nicht unbedingt im Einklang mit den Leitbildern der Migrationsfamilien. Diese nehmen inzwischen ca. 15% unserer Bevölkerung ein. Dies stellt für unsere Jugendämter und Gerichte eine besondere Herausforderung dar. Im Interesse der Kinder, die sich hierbei im Spannungsfeld befinden, müssen sensibel Lösungen gefunden werden.

Später am Abend fand die Mitgliederversammlung des Deutschen Familiengerichtstag e.V. statt. Auch der Bund Deutscher Rechtspfleger ist Mitglied des Deutschen Familiengerichtstag e.V. – noch ein Grund mehr für uns Rechtspfleger, hier stärker vertreten zu sein.

Am 30.06.2017 verteilten sich die Teilnehmer auf 12 weitere Arbeitskreise, in denen folgende Themen diskutiert wurden:

  1. Obliegenheiten im Unterhaltsrecht
  2. Pflege ein Problem des Unterhaltrechts?
  3. Ausbildungsunterhalt?
  4. Pauschale Abzüge vom Einkommen?
  5. Eheverträge – Möglichkeiten und Grenzen
  6. Öffentlichrechtlicher und schuldrechtlicher Wertausgleich
  7. Kontrolldefizite bei der Inobhutnahme
  8. Kindeswohl – interkulturell?
  9. Maßstab und Grenzen zur Beurteilung von Elternverhalten
  10. Fortbildung im Familienrecht
  11. Irrgarten Europarecht
  12. Rechtsbehelfe im FamFG – was muss sich ändern?

Auch hier wurden Thesen herausgearbeitet und formuliert, die an das Bundesjustizministerium weitergeleitet werden.

Am Abend referierte Prof. Dr. Mathias Rohe aus Erlangen über das Thema „Paralleljustiz im Familienrecht“. Er hat viele Jahre in verschiedenen islamischen Ländern gelebt und gearbeitet. Unser Rechtssystem besteht aus einer bundeseinheitlichen Rechtsordnung (=>Gesetze) mit verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten (=>Rechtsprechung). Durch den inzwischen großen Anteil von Migrationsfamilien in unserer Bevölkerung hat sich eine sogenannte Paralleljustiz entwickelt, die sich aus den anderen Kulturkreisen ergibt. Andere Kulturen haben ihre eigenen Leitbilder von Familie, wonach sie leben und Konflikte lösen. Auch erkennen andere Länder unsere Entscheidungen nicht unbedingt an (z.B. Scheidung, Sorgerecht), was zu Problemen von Migranten in ihren Heimatländern führen kann. Hier gilt es, unser Rechtsverständnis für andere Kulturen zu öffnen.

Später am Abend fand im Kaiserbahnhof ein Empfang des Bürgermeisters der Stadt Brühl statt, bei dem es in gemütlicher und entspannter Runde Essen und Trinken gab.

Am 01.07.2017 referierte Prof. Dr. Markus Rothschild, Facharzt für Rechtsmedizin aus Köln sehr anschaulich über das Thema „Die Familie im Blick der Rechtsmedizin“. Er stellte sehr anschaulich dar, wie vielfältig die Inanspruchnahme dieser Berufsgruppe im Familienrecht sein kann, z.B. bei

Rechtsmediziner arbeiten eng mit den Jugendämtern und Kinderkliniken zusammen und werden auch von Gerichten beauftragt. Anschließend beantwortet Prof. Rothschild noch alle Fragen des Publikums sehr ausführlich.

Damit ging der 22. Deutsche Familiengerichtstag zu Ende. Frau Dr. Görz verabschiedete die Teilnehmer in einer kurzen Abschlussrede.

Wir haben viele neue Informationen und ganz viele schöne und lehrreiche Eindrücke mit nach Hause genommen.

Bärbel Seidel